Das mit dem Hund war so eine Sache. Hugo hatte es nicht so mit Hunden. Diesen schelmischen Blick aus den dunklen Augen des Rüden konnte er nicht ernst nehmen. Überhaupt fehlte Hugo das Spielerische, mittlerweile schon seit mehreren Jahrzehnten. Spiel, so dachte er schon länger, war im Tiefsten doch Ernst, Wettkampf, Konkurrenz, Schauspiel, ein Kampf um die Positionen in der kleineren Gemeinschaft. Das war ein Problem … für Hugo, denn einerseits schaute Leoporello nicht gerade intelligent auf seine Umgebung, andererseits spürte ihm das Tier fast jede seiner Gefühlsregungen ab.
Leoporello, der Name, war sein Einfall gewesen. Die Nachbarn amüsierten sich natürlich zu Anfang, wenn er oder Gilda, seine Frau, dem stoffelig, kleinen Bündel hinterherriefen. Mit der Zeit hatten sie sich aus praktischen Erwägungen mit dem Hund darauf geeinigt, die Kurzform Leo zu verwenden. Es hatte eine Weile gedauert, aber der Hund, ein Collie, hatte schließlich kapiert, dass er gemeint war.
Da sie sich beide nicht so gut mit Hunden auskannten, hatten sie eine Hundeschule besucht. Dort konnte man erfahren, dass Hunde ein Gefühl für natürliche Autorität haben. Auch ihr Leo. So kam es, dass die Leiterin der Hundeschule doch heftig zu kämpfen hatte, wenn sie Leo als Beispielhund für eine Gehübung herauspickte und er sich ihr trotzig verweigerte. Gilda und Hugo schmunzelten, wenn Frau Strecker nicht hersah. Sobald Leo wieder an ihrer Seite war, verhielt er sich vorbildlich, auch ohne angehobene Stimme oder gar Brüllerei. Frau Strecker, die Hundeerzieherin, war nach dem zweiten Versuch etwas konsterniert: “Hauptsache, er hört auf Sie!”, wandte sie sich mit einem etwas angestrengten Lächeln von Gilda und Hugo ab.
Hugos Idealvorstellung nach, wollten Sie ihren Hund – wie einen Jagdhund – mit Gesten, Handzeichen und mit dieser natürlichen Autorität steuern. In Hugos Vorstellung war das Hündchen ein Gegenüber, das im ständigen Diskurs mit seiner Umgebung dazulernte und im Fortschreiten seiner Kompetenz ernst genommen werden wollte. Leo hätte dies zum damaligen Zeitpunkt natürlich noch nicht so ausformulieren können, aber er spürte, dass sich in seinen Hundegedanken etwas Ähnliches manifestierte.
Das Leo Gildas und sogar Hugos Autorität akzeptierte, war damals ein erster, hoffnungsvoller Schritt gewesen. Daraus hatte sich dann im Laufe der Zeit Besseres entwickelt. Man hätte nicht sagen können, dass der Hund keine Launen gehabt hätte oder dass er nicht den ein oder anderen Fauxpas gegenüber Leuten beging, aber im Großen und Ganzen hörte man aus der Nachbarschaft keine Klagen. Vielen, die ihnen auf der Straße, beim Gassi-Gehen begegneten, zauberte der Hund gar ein Lächeln aufs Gesicht. Der ein oder andere verstieg sich gar zu der Behauptung, ein solch gut erzogenen, freundlichen Hund hätte er sein Lebtag noch nicht vorgefunden.
Also, wenn Hugo darüber nachdachte, mit diesem Hund, Leoporello, war es dann doch anders geworden.
Gildas Lächeln ruhte auf den beiden, wie sie so in durchwachsener, stiller Übereinkunft voneinander über ihre jeweiligen Leben lernten.
Gilda hatte sich über ihren Mann gewundert. Das ausgerechnet er auf die Idee kam, einen Hund ins Haus zu holen. Hugo galt im Dorf als eher reserviert, auch den Vierbeinern gegenüber. Sie und Hugo waren sich beide genug.
Sie hatte natürlich ihren Garten und jammerte des Winters, wenn das Wetter es nicht zuließ, in den Gehölzen etwas aufzuräumen oder das Beet für den nahenden Frühling vorzubereiten. Wenn dann aber die wärmenden sonnigen Tage zunahmen, schien es, als ob diese Wärme Gilda durchströmte und nicht zu wenig bekam auch Hugo davon ab. Sie griff dann nach ihren Gartenhandschuhen, zog die wetterfeste Kleidung über und war nicht mehr aufzuhalten.
Später berichtete sie Hugo von Krokussen, die im unteren Garten zart aus der Wiese sprossen, beschwerte sich vielleicht ein wenig, dass er sie im Garten noch nicht besucht hatte.
Mit dem Hund war es dann so gekommen: Hugo erzählte ihr aus seinen Kindertagen, in denen seine Eltern – er war vielleicht acht oder neun – für etwa eine Woche einen Collie mit dem etwas ausgefallenen Namen Schnäpschen aufgenommen hatten. Der Hund gehörte einer Stewardess, die aus Liebesgründen, die etwas weiter entfernt platziert waren, den Hund zurücklassen mußte. Hugo und seine Geschwister hatten sich unbändig gefreut. Ein Collie, wie Lassie, das war es. 6 Tage lang gingen sie selig mit dem Hund durch die Gegend, gaben ihm Futter, streichelten ihn, stellten ihn bei Nachbarshunden vor. Doch der windschnittig schöne Hund ließ sich nicht auf Hugo und seine Geschwister ein. Immer, wenn er irgendwo festgebunden wurde, bellte er herzzerreißend nach seiner Stewardess. Die Stewardess und der Collie waren wirklich ein Klischee. Sie schlank und blond und er auch sehr schön. Also war es nach einer Woche Bellens, Tag und Nacht, mit den Nerven von Hugos Eltern am Ende. Die Stewardess war gerade noch nicht weggeflogen und der Hund mußte sich eine andere Bleibe suchen.
Was für ein Glück dagegen mit Leo, der von Anfang an wußte, dass er keine Stewardess benötigen würde.
Gerade also ließ Leoporello wieder seinen ganzen, überlegten Charme spielen, weil er schon wußte, dass es Hugo gut täte, ein bißchen mit ihm vor die Tür zu gehen. Und Hugo ließ sich auf den Gedanken ein, schnappte sich seinen Parka und die Schiebermütze und gab Gilda vor dem Hinausgehen einen Kuss.
Leoporello 01 … wird fortgesetzt.
© Ralf Neitzert